SocialSummit 2019

Zusammen | Halt: Zeit zu handeln

Spaltet sich unser Land mehr und mehr? Was brauchen wir, um unsere Gesellschaft zusammenzuhalten? Über diese Fragen diskutierten Sonja Anders, Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani und Dr. Robert Habeck auf dem ersten Plenum. Einig waren sie sich darin: Die Kränkung breiter Bevölkerungsgruppen geht über das Ökonomische hinaus. Und: Wir müssen lernen zu streiten und die Diskussion als gesamtgesellschaftlich, nicht ostspezifisch begreifen.

Social Summit

Die Wut, die wir heute oft zu spüren bekommen, lässt sich nicht alleine durch wirtschaftliche Trennlinien erklären. Zwischen Ost- und Westdeutschland geht es um weit mehr als ökonomische Probleme. Es geht um persönliche Kränkung. Theater sind oftmals Spiegel des Zusammenhalts in einer Stadt. Als öffentliche, partizipative Orte können sie aber auch Streiträume bieten, die wir brauchen, um über den Dialog wieder zusammenzufinden. Unsere Aufgabe als Kulturschaffende ist es auch, Teilhabe zu ermöglichen: Nehmen wir alle mit, beziehen wir jeden mit ein? Wir müssen den Menschen die Hoffnung auf eigenen politischen Gestaltungsraum geben.

Sonja Anders
designierte Intendantin des Schauspiels Hannover
Social Summit

Das einzige, was uns im Augenblick zusammenhält, ist das Streiten. Früher waren es Zwänge. Streiten kann man nur, wenn es Freiheiten gibt und man Gemeinsamkeiten hat. Beides haben wir heute. Deswegen ist die Gesellschaft für mich auch nicht primär gespalten, sondern verdichtet. Je mehr Leute mit am Tisch sitzen, desto wahrscheinlicher ist, dass man sich streitet. Zusammenhalt durch Harmonie und Ordnung sind keine Merkmale der offenen Gesellschaft, sondern passen eher zu autoritären Familien, religiösen Sekten und Diktaturen.

Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani
Autor und Leiter der Abteilung Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW
Social Summit

Vielfalt und Streit sind grundsätzlich etwas Gutes – wir müssen nur den Umgang mit beidem lernen. Es ist gefährlich, wenn wir 30 Jahre nach der Einheit die Ursachen für Probleme nur in der wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland suchen. Dieser Konflikt in Deutschland geht weit über diese Dimension hinaus. Themen wie Würde, Achtung und Anerkennung sind ökonomisch nicht messbar. Sie haben aber einen hohen individuellen und gesellschaftlichen Wert. Indem wir Ziele definieren und uns Mehrheiten dafür suchen, können wir es schaffen, politische Antworten auf kulturelle und identitätsstiftende Fragen zu finden.

Dr. Robert Habeck
Bundesvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

SocialSummit 2019

Zusammenhalt und Kommunikation

Welche Rolle spielen die Medien für den Zusammenhalt der Gesellschaft? Brauchen wir neue Strategien und Instrumente? Darüber sprachen Carline Mohr, Sheila Mysorekar und Jasper von Altenbockum.

Social Summit

Die Deutungshoheit im Journalismus hat Verluste erlitten. Dem Absender einer Nachricht wird auf digitalen Platzformen oftmals mehr vertraut als ihrer Quelle. Um Vertrauen zurückgewinnen braucht es Transparenz - ein Schlüsselbedürfnis in vielen aktuellen gesellschaftlichen Dynamiken. Dem kommen Medien, aber auch Politik im Netz leider oft nicht konsequent nach. Die Veränderung, wie Themen rezipiert werden, bringt außerdem eine neue journalistische Verantwortung mit sich. Werte müssen heute anders verteidigt werden. Redaktionen müssen sich fragen, welche Haltung, welche Vision sie haben. Diese „Redaktionslinien“ sollten transparent gemacht werden.

Carline Mohr
Leiterin Newsroom im Willy Brandt Haus
Social Summit

Wir Journalisten und Journalistinnen tragen Verantwortung für die Konsequenzen unserer Arbeit. In Zeiten, wo politische Positionen hart verhandelt werden und wo rechtsextremes und menschenfeindliches Denken auf dem Vormarsch ist, kann man sich nicht den Luxus erlauben zu sagen ‚Ist mir egal, was die anderen aus meiner Arbeit machen‘. Ohne es zu merken, haben viele Medien in Deutschland die Vokabeln und das Framing der Rechten übernommen. Das ist unprofessionell und hat vor allem negative Konsequenzen für das Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft. In den Redaktionen ist mehr politische Analyse vonnöten; ein weiteres Korrektiv wäre mehr Diversität in den Redaktionen, um eine Vielfalt der Positionen und Meinungen zu garantieren.

Sheila Mysorekar
Journalistin und Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher*innen
Social Summit

Für mich ist der Begriff ‚Zusammenhalt‘ nicht nur positiv zu sehen. Er beißt sich immer ein bisschen mit Pluralismus. Der Wunsch nach Zusammenhalt wird der Gesellschaft auch übergestülpt: Nicht jeder kann und will zusammenhalten. Wenn ich beim Schreiben immer im Hinterkopf durchgehe, was mein Text mit der Gesellschaft macht, dann kommt am Ende keine Meinung mit Ecken und Kanten raus, dann wird alles weichgespült. Mir ist die Garantie und Freiheit, unter Beachtung ganz bestimmter ethischer Grundsätzen schreiben zu können, was ich will, wesentlich wichtiger, als den Zusammenhalt der Gesellschaft zu verantworten.

Jasper von Altenbockum
Redakteur Innenpolitik der Frankfurter Allgemeine Zeitung

Denkräume

Teilhabe

Teilhabechancen stärken den sozialen Zusammenhalt. Ulrike Sommer, Delia Temmler und Dr. Oliver Döhrmann der RuhrFutur gGmbH berichteten von zwei erfolgversprechenden Projekten, die Bildungserfolge ermöglichen und Teilhabe verbessern.

Social Summit

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass geflüchtete und neu zugewanderte Menschen große Hoffnungen haben – wenn nicht für sich, dann wenigstens für ihre Kinder. Mit dem Angebot der Kinderstuben richten wir uns an Familien, die sonst wenig Chancen auf frühe Bildungsangebote für ihre Kinder hätten. Mit den entsprechenden Ressourcen und Brückenangeboten kann vielen Familien von Anfang an Teilhabe ermöglicht werden. Wir arbeiten mit den Eltern, nicht an ihnen vorbei, binden sie stark ein und nehmen sie in ihren Ressourcen und Kompetenzen wahr.  Das, was für uns selbstverständliches Alltagsgeschehen ist, wird gemeinsam mit den Eltern erarbeitet. Wir schaffen Beziehungen. Und die Familien bekommen so eine Vision von der Zukunft.

Ulrike Sommer & Delia Temmler
RuhrFutur gGmbH
Social Summit

Schulen möchten und können die Potenziale der Eltern nutzen und sie enger einbinden. Denn Eltern wünschen sich guten Bildungserfolg für ihre Kinder. Bildungserfolg geht aber weit über die ökonomische Verwertbarkeit hinaus. Entsprechend geht es in der Schule auch nicht allein um das Erlernen von Mathe oder Biologie, sondern ebenso um ein wechselseitig von Respekt und Wertschätzung geprägtes Miteinander. Das schließt insbesondere auch das Verhältnis von Lehr- und Fachkräften zu Eltern ein. 
Unser Ansatz ist insgesamt von der Überzeugung geprägt, dass Lösungen großer gesellschaftlicher Herausforderungen - im Bildungssystem und darüber hinaus - nicht allein von einzelnen Personen, Institutionen und Projekten entwickelt werden können. Die Antwort kann nur in der engen Kooperation von allen relevanten Akteuren liegen.

Dr. Oliver Döhrmann
RuhrFutur gGmbH

Denkräume

Analog

Sind persönliche Dialoge nachhaltiger als digitale? Entsteht mehr Wir-Gefühl von Angesicht zu Angesicht? Mascha Roth und Philip Husemann von „Die Offene Gesellschaft“ sprachen über die Bedeutung des direkten und analogen Austauschs. Über ganz reale Begegnungen beim Projekt „Bewegtes Land – geeintes Land?“ berichteten Jörn Hintzer und Jakob Hüfner.

 

Social Summit

Ich war ein Stück weit auch resigniert darüber, dass sich so viele Menschen gegen die Demokratie aussprechen. Dann bin zur Initiative Offene Gesellschaft gekommen und habe mich von ihren Ideen anstecken lassen. Ich finde, wir können eine offene Gesellschaft noch selbstbewusster vertreten. Dazu gehört auch, dass wir nicht in unserer Bubble bleiben. Das ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Wir müssen es schaffen, alle Menschen mitzunehmen.

Philip Husemann
Geschäftsführer Die Offene Gesellschaft und Mitbegründer von Fearless Democracy
Social Summit

Wo sind eigentlich die Menschen, die sich für eine offene Gesellschaft engagieren? Wir haben gemerkt, dass es wirklich viele gibt. Sie bekommen aber nie die mediale Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Deswegen haben wir den Tag der Offenen Gesellschaft initiiert. Menschen setzen sich mit ihrer eigenen Tafel auf die Straße. In Berlin ist das vielleicht keine große Sache, in Kandel jedoch schon. Mit der Wanderausstellung und dem Ideenlabor wollen wir außerdem mit anpacken und Ideen entwickeln, wie wir eine offene Gesellschaft gestalten können.

Mascha Roth
Projektleiterin Die Offene Gesellschaft on Tour
Social Summit

Mit dem Bewegten Land haben wir ein Projekt auf die Beine gestellt, das Stadt und Land verbindet. Die Laiendarsteller im Projekt sind Menschen, die auf dem Land leben. Städter schauen sich aus dem Zug das Happening an. In der Umsetzung des Projekts wollten wir zeigen, wie wichtig es ist, analoge Kontakte herzustellen. Digital in sozialen Netzwerken schaut ja keiner direkt zurück. Und beim Bewegten Land initiierte eine Reaktion direkt die Reaktion eines anderen. Wir wollten auch bewusst unpolitisch sein. Die Menschen sollten einfach dieses Begegnungsgefühl haben.

Jörn Hintzer
Gründer von Datenstrudel und Professor für crossmediales Bewegtbild an der Bauhaus-Universität in Weimar
Social Summit

Mit unserem Projekt Bewegtes Land haben wir auch damit gespielt, dass der Zuschauer nicht wusste. Ist das jetzt echt oder geschauspielert? Das war ja auch unser Ziel: Die Menschen neugierig aufs Land zu machen. Die Stimmung im Zug war auch wirklich irre. Die Leute haben mal nicht auf ihr Handy geschaut, sondern sind miteinander ins Gespräch gekommen. So entstand ein Zusammenhaltsgefühl. Das gleiche passierte bei unseren Schauspielern.

Jakob Hüfner
Gründer von Datenstrudel und Professor für crossmediales Bewegtbild an der Bauhaus-Universität in Weimar

Denkräume

Digital

Populistische Positionen und Hate Speech verbreiten sich oft ungefiltert im Netz, Absender sind nicht mehr klar erkennbar. Hanna Gleiß von Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hate Speech diskutierte mit den Teilnehmenden, was gegen Hass im Netz hilft – und ob wir mehr Regulierungen brauchen. Johannes Kleske wagte den Blick in die Zukunft: Was muss anders werden, damit es in Zukunft mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt?

 

Social Summit

In Deutschland denken wir gerne über die Zukunft in der Einzahl nach. Die Zukunft der Arbeit, die Zukunft des Landes. Es gibt aber verschiedene Richtungen, in die die Zukunft gehen kann. Zukunftsforscher sprechen daher immer von der Mehrzahl. Zukünfte sind bestimmend für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Sie entscheiden, wie wir miteinander umgehen, worüber wir sprechen. Wer wird außen vorgelassen? Was müsste in dieser Zukunft anders sein, damit sie mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt schafft? Es gilt: Wer die Narrative bestimmt, bestimmt die Zukunft. Man sollte daher immer vorsichtig sein, wenn jemand von DER EINEN Zukunft spricht. Wir müssen anfangen, mehr eigene Narrative zu entwickeln und bestehende zu hinterfragen.

Johannes Kleske
Strategieberater und Zukunftsforscher
Social Summit

Es gibt keine einheitlich gültige Definition von Hate Speech (die meist verwendete bezieht sich auf “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit”) und sie ist auch kein juristischer Tatbestand. Wir brauchen aber Regulierungen. Das Thema Strafverfolgung ist noch eine große Baustelle. Der digitale Bereich ist kein gesetzfreier Raum, aber die bestehenden Gesetze sind oft noch zu analog gedacht. Wir leben in einem Rechtsstaat – und den muss es auch im Netz geben. Viele der aktuell diskutieren Lösungsideen helfen nicht. Zum Beispiel hat sich gezeigt: Klarnamenpflicht schützt nicht vor Hate Speech. Wir haben teils verlernt, zu streiten. Wir müssen aus der eigenen Blase öfter und bewusster heraustreten. Hate Speech ist eine Form von digitaler Gewalt. Gerade bei Jugendlichen kann sie eine traumatisierende Wirkung haben.

Hanna Gleiß
Das NETTZ – Vernetzungsstelle gegen Hate Speech

Denkräume

Dialog

Wie bleiben wir miteinander im Gespräch, gerade wenn wir unterschiedlicher Meinung sind? Philip Faigle, Redakteur bei ZEIT ONLINE, stellte seine Erfahrungen aus dem Projekt „Deutschland spricht“ vor und berichtete, was passiert, wenn Menschen, die sich normalerweise nie begegnen würden, in Dialog miteinander treten. Und Ilan Siebert von es geht LOS plädierte für neue Formen des Austauschs, um das Vertrauen in die Demokratie wieder zu stärken.

Social Summit

Eine Art Tinder für die Politik zu kreieren – diese Idee steht hinter Deutschland spricht. Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen werden über eine Plattform in ein politisches Eins-zu-Eins-Gespräch vermittelt. Diese Gespräche sind Einzelmomente, die einer wissenschaftlichen Untersuchung der Universität Bonn zufolge auch langfristige Effekte haben können. Viele Teilnehmer gehen mit einer veränderten Meinung aus dem Gespräch und haben tendenziell mehr Verständnis – nicht nur für ihre Gesprächspartner, sondern auch für das politische Lager, dem der bzw. die Gesprächspartnerin angehört. Es gibt auch Hinweise, dass durch die Gespräche der Glaube an den gesellschaftlichen Zusammenhalt wächst.

Philip Faigle
Redakteur für besondere Aufgaben bei ZEIT ONLINE
Social Summit

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie sinkt. Geloste Bürgerrate könnten eine neue Verbindung zwischen Politik und Gesellschaft herstellen, Parteienpolitik durch eine informierte, verantwortungsvolle Perspektive ergänzen und Vertrauen in die Demokratie und unsere Gesellschaft stärken.    

Ilan Siebert
Gründer es geht LOS

Denkräume

Zukunft

Viele sehen unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Aber ist dem wirklich so? Und wenn ja, wie können wir ihn wieder stärken? In diesem Denkraum warfen wir einen Blick in die Zukunft der Kommunikation und der Gesellschaft – mit Prof. Dr. Michael Hartmann, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt, Magdalena Rogl, Microsoft Deutschland und Michael Seemann, Autor, Dozent und Blogger.

Social Summit

Eliten sind die Teile der Bevölkerung, die gesamtgesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen können. Von Wirtschaft über Politik bis Medien: Eliten reproduzieren sich vielfach durch Prinzipien der Ähnlichkeit und Kooperation. Dadurch entfremden sie sich von großen Teilen der Bevölkerung. Exklusive Elitenrekrutierung hat sich über Jahrzehnte hinweg gehalten. Zwischen Eliten und Abgehängten besteht kein Kommunikationsproblem, sondern das Problem unterschiedlicher Lebenswelten und Einstellungen. Eine Lösung könnte eine Herkunftsquote sein, genauer gesagt: eine Quote für Arbeiterkinder.

Prof. Dr. Michael Hartmann
Professor i.R. für Soziologie, TU Darmstadt
Social Summit

Die Digitalisierung ist unsere erste – und daher ein Experiment und eine Fahrt auf Sicht. Aktuell erleben wir digitale Kontrollverluste über Daten, Geschäftsmodelle und Deutungshoheiten, die selbst nur Vorboten einer gesellschaftlichen Neuorganisation sind. Wir müssen die Akteure in diesem neuen Spiel verstehen lernen, genauso wie die neuen Hebel, um eine zukünftige Gesellschaft daran auszurichten. Zivilgesellschaftliche Bewegungen wie #metoo, #fridaysforfuture oder #blacklivesmatter machen das schon mal vor.

Michael Seemann
Autor, Dozent, Blogger
Social Summit

Digitale Unternehmen müssen zunehmend Verantwortung übernehmen, Richtlinien schaffen und ihren Technologien von vorneherein Grenzen setzen. Aber auch jeder Einzelne von uns muss für sich entscheiden, wie er oder sie eine Plattform wie Facebook nutzen will. Digitale Plattformen bieten in erster Linie Möglichkeiten – gute wie schlechte. Es kommt immer darauf an, wie Menschen diese Möglichkeiten nutzen. Dafür braucht es auch ein tieferes Verständnis digitaler Technologien in der Bevölkerung.

Magdalena Rogl
Leiterin Social Media und Digital Communications bei Microsoft Deutschland
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