Die Wut, die wir heute oft zu spüren bekommen, lässt sich nicht alleine durch wirtschaftliche Trennlinien erklären. Zwischen Ost- und Westdeutschland geht es um weit mehr als ökonomische Probleme. Es geht um persönliche Kränkung. Theater sind oftmals Spiegel des Zusammenhalts in einer Stadt. Als öffentliche, partizipative Orte können sie aber auch Streiträume bieten, die wir brauchen, um über den Dialog wieder zusammenzufinden. Unsere Aufgabe als Kulturschaffende ist es auch, Teilhabe zu ermöglichen: Nehmen wir alle mit, beziehen wir jeden mit ein? Wir müssen den Menschen die Hoffnung auf eigenen politischen Gestaltungsraum geben.
Das einzige, was uns im Augenblick zusammenhält, ist das Streiten. Früher waren es Zwänge. Streiten kann man nur, wenn es Freiheiten gibt und man Gemeinsamkeiten hat. Beides haben wir heute. Deswegen ist die Gesellschaft für mich auch nicht primär gespalten, sondern verdichtet. Je mehr Leute mit am Tisch sitzen, desto wahrscheinlicher ist, dass man sich streitet. Zusammenhalt durch Harmonie und Ordnung sind keine Merkmale der offenen Gesellschaft, sondern passen eher zu autoritären Familien, religiösen Sekten und Diktaturen.
Vielfalt und Streit sind grundsätzlich etwas Gutes – wir müssen nur den Umgang mit beidem lernen. Es ist gefährlich, wenn wir 30 Jahre nach der Einheit die Ursachen für Probleme nur in der wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland suchen. Dieser Konflikt in Deutschland geht weit über diese Dimension hinaus. Themen wie Würde, Achtung und Anerkennung sind ökonomisch nicht messbar. Sie haben aber einen hohen individuellen und gesellschaftlichen Wert. Indem wir Ziele definieren und uns Mehrheiten dafür suchen, können wir es schaffen, politische Antworten auf kulturelle und identitätsstiftende Fragen zu finden.
Die Deutungshoheit im Journalismus hat Verluste erlitten. Dem Absender einer Nachricht wird auf digitalen Platzformen oftmals mehr vertraut als ihrer Quelle. Um Vertrauen zurückgewinnen braucht es Transparenz - ein Schlüsselbedürfnis in vielen aktuellen gesellschaftlichen Dynamiken. Dem kommen Medien, aber auch Politik im Netz leider oft nicht konsequent nach. Die Veränderung, wie Themen rezipiert werden, bringt außerdem eine neue journalistische Verantwortung mit sich. Werte müssen heute anders verteidigt werden. Redaktionen müssen sich fragen, welche Haltung, welche Vision sie haben. Diese „Redaktionslinien“ sollten transparent gemacht werden.
Wir Journalisten und Journalistinnen tragen Verantwortung für die Konsequenzen unserer Arbeit. In Zeiten, wo politische Positionen hart verhandelt werden und wo rechtsextremes und menschenfeindliches Denken auf dem Vormarsch ist, kann man sich nicht den Luxus erlauben zu sagen ‚Ist mir egal, was die anderen aus meiner Arbeit machen‘. Ohne es zu merken, haben viele Medien in Deutschland die Vokabeln und das Framing der Rechten übernommen. Das ist unprofessionell und hat vor allem negative Konsequenzen für das Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft. In den Redaktionen ist mehr politische Analyse vonnöten; ein weiteres Korrektiv wäre mehr Diversität in den Redaktionen, um eine Vielfalt der Positionen und Meinungen zu garantieren.
Für mich ist der Begriff ‚Zusammenhalt‘ nicht nur positiv zu sehen. Er beißt sich immer ein bisschen mit Pluralismus. Der Wunsch nach Zusammenhalt wird der Gesellschaft auch übergestülpt: Nicht jeder kann und will zusammenhalten. Wenn ich beim Schreiben immer im Hinterkopf durchgehe, was mein Text mit der Gesellschaft macht, dann kommt am Ende keine Meinung mit Ecken und Kanten raus, dann wird alles weichgespült. Mir ist die Garantie und Freiheit, unter Beachtung ganz bestimmter ethischer Grundsätzen schreiben zu können, was ich will, wesentlich wichtiger, als den Zusammenhalt der Gesellschaft zu verantworten.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass geflüchtete und neu zugewanderte Menschen große Hoffnungen haben – wenn nicht für sich, dann wenigstens für ihre Kinder. Mit dem Angebot der Kinderstuben richten wir uns an Familien, die sonst wenig Chancen auf frühe Bildungsangebote für ihre Kinder hätten. Mit den entsprechenden Ressourcen und Brückenangeboten kann vielen Familien von Anfang an Teilhabe ermöglicht werden. Wir arbeiten mit den Eltern, nicht an ihnen vorbei, binden sie stark ein und nehmen sie in ihren Ressourcen und Kompetenzen wahr. Das, was für uns selbstverständliches Alltagsgeschehen ist, wird gemeinsam mit den Eltern erarbeitet. Wir schaffen Beziehungen. Und die Familien bekommen so eine Vision von der Zukunft.
Schulen möchten und können die Potenziale der Eltern nutzen und sie enger einbinden. Denn Eltern wünschen sich guten Bildungserfolg für ihre Kinder. Bildungserfolg geht aber weit über die ökonomische Verwertbarkeit hinaus. Entsprechend geht es in der Schule auch nicht allein um das Erlernen von Mathe oder Biologie, sondern ebenso um ein wechselseitig von Respekt und Wertschätzung geprägtes Miteinander. Das schließt insbesondere auch das Verhältnis von Lehr- und Fachkräften zu Eltern ein.
Unser Ansatz ist insgesamt von der Überzeugung geprägt, dass Lösungen großer gesellschaftlicher Herausforderungen - im Bildungssystem und darüber hinaus - nicht allein von einzelnen Personen, Institutionen und Projekten entwickelt werden können. Die Antwort kann nur in der engen Kooperation von allen relevanten Akteuren liegen.
Ich war ein Stück weit auch resigniert darüber, dass sich so viele Menschen gegen die Demokratie aussprechen. Dann bin zur Initiative Offene Gesellschaft gekommen und habe mich von ihren Ideen anstecken lassen. Ich finde, wir können eine offene Gesellschaft noch selbstbewusster vertreten. Dazu gehört auch, dass wir nicht in unserer Bubble bleiben. Das ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Wir müssen es schaffen, alle Menschen mitzunehmen.
Wo sind eigentlich die Menschen, die sich für eine offene Gesellschaft engagieren? Wir haben gemerkt, dass es wirklich viele gibt. Sie bekommen aber nie die mediale Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Deswegen haben wir den Tag der Offenen Gesellschaft initiiert. Menschen setzen sich mit ihrer eigenen Tafel auf die Straße. In Berlin ist das vielleicht keine große Sache, in Kandel jedoch schon. Mit der Wanderausstellung und dem Ideenlabor wollen wir außerdem mit anpacken und Ideen entwickeln, wie wir eine offene Gesellschaft gestalten können.
Mit dem Bewegten Land haben wir ein Projekt auf die Beine gestellt, das Stadt und Land verbindet. Die Laiendarsteller im Projekt sind Menschen, die auf dem Land leben. Städter schauen sich aus dem Zug das Happening an. In der Umsetzung des Projekts wollten wir zeigen, wie wichtig es ist, analoge Kontakte herzustellen. Digital in sozialen Netzwerken schaut ja keiner direkt zurück. Und beim Bewegten Land initiierte eine Reaktion direkt die Reaktion eines anderen. Wir wollten auch bewusst unpolitisch sein. Die Menschen sollten einfach dieses Begegnungsgefühl haben.
Mit unserem Projekt Bewegtes Land haben wir auch damit gespielt, dass der Zuschauer nicht wusste. Ist das jetzt echt oder geschauspielert? Das war ja auch unser Ziel: Die Menschen neugierig aufs Land zu machen. Die Stimmung im Zug war auch wirklich irre. Die Leute haben mal nicht auf ihr Handy geschaut, sondern sind miteinander ins Gespräch gekommen. So entstand ein Zusammenhaltsgefühl. Das gleiche passierte bei unseren Schauspielern.
In Deutschland denken wir gerne über die Zukunft in der Einzahl nach. Die Zukunft der Arbeit, die Zukunft des Landes. Es gibt aber verschiedene Richtungen, in die die Zukunft gehen kann. Zukunftsforscher sprechen daher immer von der Mehrzahl. Zukünfte sind bestimmend für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Sie entscheiden, wie wir miteinander umgehen, worüber wir sprechen. Wer wird außen vorgelassen? Was müsste in dieser Zukunft anders sein, damit sie mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt schafft? Es gilt: Wer die Narrative bestimmt, bestimmt die Zukunft. Man sollte daher immer vorsichtig sein, wenn jemand von DER EINEN Zukunft spricht. Wir müssen anfangen, mehr eigene Narrative zu entwickeln und bestehende zu hinterfragen.
Es gibt keine einheitlich gültige Definition von Hate Speech (die meist verwendete bezieht sich auf “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit”) und sie ist auch kein juristischer Tatbestand. Wir brauchen aber Regulierungen. Das Thema Strafverfolgung ist noch eine große Baustelle. Der digitale Bereich ist kein gesetzfreier Raum, aber die bestehenden Gesetze sind oft noch zu analog gedacht. Wir leben in einem Rechtsstaat – und den muss es auch im Netz geben. Viele der aktuell diskutieren Lösungsideen helfen nicht. Zum Beispiel hat sich gezeigt: Klarnamenpflicht schützt nicht vor Hate Speech. Wir haben teils verlernt, zu streiten. Wir müssen aus der eigenen Blase öfter und bewusster heraustreten. Hate Speech ist eine Form von digitaler Gewalt. Gerade bei Jugendlichen kann sie eine traumatisierende Wirkung haben.
Eine Art Tinder für die Politik zu kreieren – diese Idee steht hinter Deutschland spricht. Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen werden über eine Plattform in ein politisches Eins-zu-Eins-Gespräch vermittelt. Diese Gespräche sind Einzelmomente, die einer wissenschaftlichen Untersuchung der Universität Bonn zufolge auch langfristige Effekte haben können. Viele Teilnehmer gehen mit einer veränderten Meinung aus dem Gespräch und haben tendenziell mehr Verständnis – nicht nur für ihre Gesprächspartner, sondern auch für das politische Lager, dem der bzw. die Gesprächspartnerin angehört. Es gibt auch Hinweise, dass durch die Gespräche der Glaube an den gesellschaftlichen Zusammenhalt wächst.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie sinkt. Geloste Bürgerrate könnten eine neue Verbindung zwischen Politik und Gesellschaft herstellen, Parteienpolitik durch eine informierte, verantwortungsvolle Perspektive ergänzen und Vertrauen in die Demokratie und unsere Gesellschaft stärken.
Eliten sind die Teile der Bevölkerung, die gesamtgesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen können. Von Wirtschaft über Politik bis Medien: Eliten reproduzieren sich vielfach durch Prinzipien der Ähnlichkeit und Kooperation. Dadurch entfremden sie sich von großen Teilen der Bevölkerung. Exklusive Elitenrekrutierung hat sich über Jahrzehnte hinweg gehalten. Zwischen Eliten und Abgehängten besteht kein Kommunikationsproblem, sondern das Problem unterschiedlicher Lebenswelten und Einstellungen. Eine Lösung könnte eine Herkunftsquote sein, genauer gesagt: eine Quote für Arbeiterkinder.
Die Digitalisierung ist unsere erste – und daher ein Experiment und eine Fahrt auf Sicht. Aktuell erleben wir digitale Kontrollverluste über Daten, Geschäftsmodelle und Deutungshoheiten, die selbst nur Vorboten einer gesellschaftlichen Neuorganisation sind. Wir müssen die Akteure in diesem neuen Spiel verstehen lernen, genauso wie die neuen Hebel, um eine zukünftige Gesellschaft daran auszurichten. Zivilgesellschaftliche Bewegungen wie #metoo, #fridaysforfuture oder #blacklivesmatter machen das schon mal vor.
Digitale Unternehmen müssen zunehmend Verantwortung übernehmen, Richtlinien schaffen und ihren Technologien von vorneherein Grenzen setzen. Aber auch jeder Einzelne von uns muss für sich entscheiden, wie er oder sie eine Plattform wie Facebook nutzen will. Digitale Plattformen bieten in erster Linie Möglichkeiten – gute wie schlechte. Es kommt immer darauf an, wie Menschen diese Möglichkeiten nutzen. Dafür braucht es auch ein tieferes Verständnis digitaler Technologien in der Bevölkerung.