Wertschätzung ist im Alltäglichen anstrengend, so Professor Andreas Suchanek, Key-Speaker auf dem Social Summit 2014 in Berlin. In seinem Vortrag führte der Professor für Nachhaltigkeit und Globale Ethik an der Handelshochschule Leipzig, die Zuhörerinnen und Zuhörer aus philosophischer und wirtschaftsethischer Perspektive an das Themenfeld heran.
„Wertschätzung ist wertschöpfend und ein Wert an sich“, so Suchanek. Trotzdem gibt es zahlreiche Hindernisse, die einer Umsetzung von wertschätzendem Verhalten im (Unternehmens-)Alltag entgegen stehen, von banalem Vergessen über fehlende Fähigkeiten und steigende subjektive Kosten in einer von Knappheit geprägten Welt bis hin zu Ängsten, zu hohe Erwartungen und Ansprüche beim Gegenüber zu erzeugen. Dabei ist Wertschätzung nicht nur in wirtschaftlichen Kontexten eine Investition, vor allem eine Investition in Vertrauen, die sich langfristig auszahlt. Wertschätzung muss auch gar keine Anstrengung sein, wenn man sie als Haltung begreift: zuhören, danken, Interesse am anderen zeigen, Fehler angemessen tolerieren, Feedback geben und nehmen, Verletzungen vermeiden. „Wertschätzung ist eine Kunst, die Wollen und Können voraussetzt.“ Ziel ist es, eine Kultur zu entwickeln, die wertschätzt und berücksichtigt, dass; alte Menschen verletzlich sind und sie differenziert anspricht in ihrer Verletzlichkeit – und ihren Kompetenzen.
Das Zitat von Hannah Arendt bringt die Haltung von Franz Müntefering auf den Punkt: Für ihn ist Wertschätzung nicht mehr und nicht weniger als ein Modus, in dem er sich bewegt, ein Maßstab der Orientierung, Grundlage für seine Entscheidungen. Dabei hat Wertschätzung viel damit zu tun, was unsere Demokratie ausmacht: „Jedes Kreuz ist gleich viel wert.“ Für Müntefering heißt Wertschätzung sich „mögen“, sich ernst nehmen – sehr nah am Wert der menschlichen Solidarität. Und dann macht Wertschätzung erst Streit möglich. „Widerspruch und Streit sind die Grundlagen der Demokratie.Wertschätzung heißt auch sagen zu können: „Das schätze ich nicht.“ Wertschätzung zieht sich gleich einem roten Faden als Haltung durch die politischen Anliegen von Franz Müntefering: Wie gelingt Wertschätzung zwischen den Generationen? Was können wir tun gegen die größte Krankheit, die Einsamkeit im Alter? Wie schaffen wir eine wertschätzende Arbeitswelt (faire Bezahlung, Wertschätzung „einfacher“ Berufe)? Was heißt Wertschätzung in der globalen Perspektive (Solidarität weltweit)? Am Ende zieht Müntefering, ein passionierter Fußballfan und -spieler, den Vergleich zum Spiel mit dem Ball. Auch im Fußball ist Wertschätzung Grundlage für den Teamerfolg.
„Wir brauchen eine Umorientierung: Weg vom „Weiter, schneller, mehr!“ hin zu einem neuen Maß der Dinge. Unsere Gesellschaft der Maximierung, der materiellen Steigerungslogik, funktioniert so nicht mehr. Die negativen Auswirkungen – ökologisch, ökonomisch, individuell – sind enorm. Wertschätzung heißt für mich eine neue Werteorientierung: Gut leben statt viel haben. Diese neue Qualität drückt sich aus in Nähe, Zeit und menschlichem Bezug, den man sich nicht kaufen kann. Damit aus dieser inneren Haltung der Wertschätzung auch Handlung im gesellschaftlichen Kontext wird, ist Politik gefordert.“
„Wertschätzung ist eine Frage der Haltung, des Stils und guten Verhaltens – aus nationaler und vor allem globaler Perspektive betrachtet brauchen wir aber mehr als gute Vorbilder. Hier brauchen wir ambitionierte Leitplanken und gesetzliche Grundlagen für Wertschätzung, damit fortschrittliche Standards, die wir z.B. in Deutschland oder in Europa haben, überall auf der Welt verankert werden. Und zwar soziale und ökologische Standards, die nicht nur in Schönwetter-Zeiten greifen, sondern gerade in schlechten, unsicheren Zeiten Verlässlichkeit bieten.“
„Der Konsument lässt sich nicht mehr veräppeln. Die Menschen wollen Glaubwürdigkeit und Transparenz, vor allem bei der Nahrungssuche. Und da helfen auch die vielen Siegel nicht, die zu unübersichtlich und kompliziert sind. Wir wollen das Vertrauen unserer Kunden erlangen, indem wir glaubhaft und ehrlich Wertschätzung leben: gegenüber den Produkten mit ihrer Wertschöpfungskette, gegenüber den Lieferanten, die wir alle persönlich kennen, gegenüber unseren Kunden, die wir für unser Konzept begeistern, gegenüber unseren Mitarbeitern. Am Ende sind wir auf die Wertschätzung der Konsumenten angewiesen, um am Markt zu bestehen.“
„Wertschätzung bedeutet, dass man ehrlich zueinander ist und auch Schwierigkeiten gemeinsam meistert. Gerade in Krisenzeiten ist Wertschätzung im Unternehmen ein wichtiger Wert, aber auch besonders schwierig umzusetzen. Wir sind stark gewachsen und tragen nun die Verantwortung für eine große Belegschaft, wir können nicht einfach zurückfahren, wir brauchen neue Strategien, um in einer veränderten Einzelhandelslandschaft zu bestehen, in der Kunden Beratungsleistung oft nicht mehr wertschätzen, sondern ihren abschließenden Kauf im Internet tätigen. Und all das ohne unsere Ideale aufzugeben, z.B. Mitarbeiter immer als Reisegefährten zu betrachten.“
„Wertschätzung hat viel mit unserem ethischen Anspruch zu tun: Gerade Banken müssen Menschen wie Menschen behandeln und nicht wie Zahlenwerke – sowohl nach innen als auch nach außen. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, dass wir Vorbilder sind, denn Wertschätzung muss man (vor-)leben, sonst kann man sich das ganze schöne Hochglanzpapier sparen, auf dem Leitbilder und Imagedarstellungen gedruckt sind.“
„Wertschätzung beginnt mit aufmerksamer, wohlwollender Wahrnehmung. Der wertschätzende Blick ist immer parteiisch, denn er steht auf der Seite des Wertes, den jeder Mensch in sich trägt. Mein Traum ist es, dass jeder, der in unseren Einrichtungen ist – als Patient, Klient, Bewohner oder Mitarbeiter – dort ohne Angst sein kann, geborgen und fair behandelt. Wertschätzung zeigt sich in unseren Kontexten dann, wenn Angst keinen Raum hat.“
„Eine Klinik ist kein Produktionsbetrieb. Vielmehr ist sie ein Ort, an dem ein hohes Maß an Kommunikation, Haltung und Wertschätzung gelebt wird. Im Pflegealltag, in dem minutengenau die Taktung der Pflegezeit zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit gelebt werden soll und muss, ist es umso wichtiger, wie mit dem Pflegeempfänger umgegangen wird. Er soll sich nicht als eine belastende Sache empfinden, sondern als ein Mensch.“
„In unserer Arbeit mit Eltern in besonders belastenden Lebenslagen wollen wir diesen ermöglichen, ihr Elternsein selbstbewusster und -bestimmter zu erleben. Das gelingt nur, wenn wir mit ihnen und miteinander wertschätzend umgehen, wenn wir sie in ihren Fähigkeiten bestärken, damit sie die Kompetenzen, die sie schon haben, weiterentwickeln. Wir fokussieren dabei auf das Positive und geben Anerkennung. Diese wertschätzende Haltung übertragen die Eltern dann auch auf ihre Kinder. Wichtig ist: unsere Wertschätzung kommt aus dem Inneren, aus dem Herzen und sie bezieht sich auf Konkretes, auf konkret erlebte Situationen und Beispiele, sie bleibt nicht oberflächlich. So bewirkt Wertschätzung wahre Wunder.“
„Entwicklung kann nur nachhaltig sein, wenn sie ganzheitlich gedacht wird. Biologisch-dynamisches Anbauen, umweltverträgliches Wirtschaften und faire Entwicklungschancen für Mitarbeiter und Lieferanten gehen bei SEKEM Hand in Hand. Wertschätzung umfasst für uns Wirtschaft, Soziales und Kulturelles. Wertschätzung ist auch Wahrnehmung des anderen – die Menschen gehen stolzer nach Hause. Diesen ideellen Teil gibt es immer, diesen dürfen wir nicht vergessen.“